Mobilitätsanbieter bauen auf digitale Plattformen, die verschiedene Verkehrsangebote miteinander zu Reiseketten vernetzen. In seinem Gastkommentar spricht Verkehrsplaner und Produktmanager Dr. Florian Krummheuer von Infra-Dialog GmbH in Berlin von attraktiven Mobilitätsoptionen, die im Wettbewerb zum Auto stehen. Doch mahnt er weitreichendere Lösungen an, denn Verkehr fließe nicht durch eine digitale Cloud, sondern ganz real durch die Stadt.
Die Digitalisierung verändert unser Leben. Wir lassen keine Fotos mehr entwickeln, können aus riesigen Angeboten in Online-Kaufhäusern auswählen, Musik und Serien streamen wir und verlieben uns sogar per App. Immer mehr Lebensbereiche werden von der Digitalisierung erfasst. Sie hat zuerst die Telekom-Branche verändert, das Verlagswesen und der Handel folgten. Nun ist die Mobilität an der Reihe. Eine nie dagewesene Dynamik erfasst den Verkehrsmarkt. Risikokapitalgeber investieren in neue Firmen mit cleveren Geschäftsmodellen. Lange etablierte Anbieter könnten „disruptiv“ abgelöst werden. Droht den Autoherstellern, Verkehrsbetrieben und Eisenbahnen ein ähnliches Schicksal wie einst Kodak? Dem erfolgreichen Farbfilm-Hersteller kam mit der Digitalfotografie das Geschäftsmodell abhanden. Es wird zwar heute mehr denn je geknipst; Abzüge macht man aber nur noch selten. Die Kodak-Produkte werden kaum noch gebraucht. Stattdessen werden Bilder über Smartphones, soziale Netzwerke oder Cloudspeicher – also digitale Kanäle – rasant verbreitet.
Vernetzung als Kernelement digitaler Mobilität
Auch in der Mobilitätsbranche verändern diese digitalen Kanäle die Angebote. Das fängt mit der Kundenschnittstelle an. Für uns ist es normal, Bahnfahrkarten per App zu buchen. Die Anbieter sparen dabei ganz erheblich, denn wir Kunden halten die Vertriebsinfrastruktur (unser Handy ersetzt den Fahrkartenautomat) selbst vor, gleichzeitig profitieren die Kundinnen und Kunden von zusätzlichen Services wie Echtzeitinformationen und Verspätungsalarm. Zudem wird das Angebot umfassender: Anbieter öffnen ihre Kundenschnittstelle für Partner und fungieren als zweiseitige Marktplätze. Der Fernbusanbieter Flixbus fährt seine Busse nicht selbst, sondern lässt sein gesamtes Angebot von mittelständischen Busunternehmen erbringen. Auch der Fahrtenvermittler Uber setzt auf Kleinstunternehmer vor Ort, die sich über standardisierte Schnittstellen einbinden. Das hat Vorteile: Die großen Plattformen könne ihr Angebot schneller kundenorientiert anpassen, die kleinen Unternehmer profitieren von deren Reichweite. Besonders kleinteilig sind sogenannte Peer-to-Peer-Sharingangebote. Hier vernetzen sich Privatleute, um Sitzplätze bei privaten Autofahrten (Ridesharing) oder ganze Privatautos (Peer-to-Peer-Carsharing) über Marktplätze und Apps zu teilen. Auch kommunale deutsche Verkehrsbetriebe arbeiten unter dem Namen ‚Mobility inside‘ an einer Mobilitätsplattform zur Vernetzung verschiedener Verkehrsangebote. Sie soll den Umstieg vom Bus zum Leihrad, Carsharing oder das durchgehende Ticket in den Nachbarverbund ermöglichen und offen für verschiedene Partner sein. Zwangsläufig fallen bei digitalen Geschäftsmodellen große Datenmengen an. Anbieter optimieren damit ihre Produkte, indem sie Nachfragemuster erkennen, Angebote besser auf Kundenbedürfnisse zuschneiden oder ihre internen Prozesse effizienter organisieren. Dabei ist digitale Vernetzung im Verkehrssystem nicht neu: Seit Langem kommunizieren Busse und Straßenbahnen automatisch mit Ampeln, werden Rufbussysteme durch intelligente Routing-Algorithmen gesteuert und Carsharing-Autos angeboten. Neu ist aber: Preiswerte Rechenkapazität, flächendeckendes Internet sowie günstige, standardisierte Schnittstellen und Endgeräte erleichtern erheblich eine viel umfassendere Vernetzung. Sie wird so effizient, dass neue Geschäftsmodelle und neue Mobilitätsangebote entstehen können.
Kein Allheilmittel für eine Verkehrswende
Die Hoffnung ist: Wenn neue und alte Verkehrsmittel durch intelligente Routing-Algorithmen zum Beispiel in der ‚Mobility inside‘-Plattform zu zuverlässigen Reiseketten zusammengestellt werden, entstehen neue, im Wettbewerb mit dem Auto attraktive Mobilitätsoptionen. Dennoch ist die Digitalisierung kein Allheilmittel für unsere Verkehrsprobleme. Sie steht nicht für eine Umkehr, sondern eine evolutionäre Weiterentwicklung des Systems. Effizienzsteigerungen durch technischen Fortschritt gab es im Mobilitätssystem auch zuvor: Motoren wurden immer wirksamer, Ampeln sorgen für leistungsfähigere Kreuzungen, und Züge verbrauchen immer weniger Energie. Das wachsende Verkehrsaufkommen zehrte allerdings alle Effizienzgewinne auf: Energieverbrauch, Flächeninanspruchnahme und Schadstoffe nahmen und nehmen konstant zu. Die Effizienzsteigerungen dank Digitalisierung machen Verkehr günstiger und bequemer. Auch das dürfte voraussichtlich zu einem steigenden Verkehrsaufkommen führen. Die Erfahrungen mit Ridesharing-Anbietern wie Uber und Lyft in amerikanischen Großstädten zeigen schon heute: Wegen dieser komfortablen Angebote sind zwar etwas weniger Privatautos, in Summe aber mehr Pkw als zuvor auf den Straßen unterwegs.
Digitalisierung darf kein Feigenblatt sein
Effizienzsteigerungen durch digitale Vernetzung und Sharing sind als Bausteine wichtig, sie müssen unbedingt in verkehrsplanerischen Gesamtkonzepten eingebunden sein. Verführerisch scheinen die Versprechungen der neuen smarten Mobilitätsanbieter. Suggerieren diese doch eine Reduktion des störenden Autoverkehrs dank App-basierter Services aus der Cloud. Verkehr fließt allerdings nicht durch die Cloud, sondern in der realen Stadt. Dort braucht es für eine Verkehrswende leistungsfähige Rad- und Fußwege, sowie einen hochkapazitären ÖPNV. Weil das viel Geld kostet und nur zu Lasten des Pkw umsetzbar ist, fokussiert sich die Verkehrspolitik vielerorts auf digitale Lösungen. Mobilitäts-Apps und Co. dürfen aber kein politisches Feigenblatt sein, um nötige, aber unpopuläre Entscheidungen auszusitzen.

Dr. Florian Krummheuer
Infra-Dialog GmbH Berlin